Mit dem Geist der Bäume leben

Oszillogramm Eiche

Mit dem Geist der Bäume leben

Artikel von Fred Hageneder in Mensch & Sein, München, Februar 2000

 

Bäume sind Hüter, die alles Leben auf der Erde schützen, gerade so wie ein einzelner Baum uns kühlen Schatten in der Sommersonne schenkt. Aufgrund dieses Bewahrens allen Lebens sowie aufgrund der Führung auf unserer geistigen Reise, wurden Bäume überall auf der Erde von Menschen geachtet und geliebt, und mit Opfergaben bedacht. Die Belege hierfür reichen 6.000 Jahre und mehr zurück, bis weit in die Steinzeit hinein. Und es änderte sich erst vollständig im 20. Jahrhundert, im Zuge der Industrialisierung und der Raubbaumentalität.

Was macht Bäume zu etwas so Besonderem? Wie haben unsere Vorfahren Bäumen Respekt bezeugt und was können wir heute tun?

 

Urwälder – Bewahrer des Gleichgewichts

Die Neigung zum Miteinander ist überall in der Natur zu beobachten, sogar schon in der Teilchenphysik. Aber nirgends wird sie so vollendet sichtbar wie in der Waldgemeinschaft. In ihrer Vielfalt, ihrem Teamwork, ihrer intelligenten Anpassungsfähigkeit ist sie der innigste Ausdruck des Charakters des Planeten Erde. Und daher ist der Wald seit Hunderten von Millionen Jahren die dominierende Lebensform (außerhalb der Ozeane).

Und er ist in noch viel tieferem Sinne die "grüne Lunge des Planeten", das Austauschorgan zwischen der Erde und dem sie umgebenden Weltraum: In den 1980ern entdeckte der schottische Mathematiker Lawrence Edwards, daß die Winterknospen von Laubbäumen rhythmisch pulsieren, und zwar in Reaktion auf die Planeten unseres Sonnensystems. So reagiert z.B. die Eiche besonders auf den Mars, die Buche auf den Saturn, die Birke auf die Venus, der Ahorn auf den Jupiter, die Ulme auf den Merkur, die Esche auf die Sonne und der Kirschbaum auf den Mond.

Oszillogramm Eiche

Abb.: Das Oszillogramm der Werte schottischer Eichen im Winter 1982-1983. Die größte Ausdehnung der Knospen, hier sichtbar in den Tiefstpunkten der Linie, erscheint zeitgleich mit den schwarzen Pfeilen, die die Mond-Mars-Konkunktionen und -Oppositionen.

 

In umfangreichen Messungen wurden zudem die elektrischen Ströme von Bäumen untersucht. Die bioelektrischen Felder von Bäumen reagieren sensibel auf den Wechsel von Licht und Dunkelheit, auf die Jahreszeiten, auf die Mondphasen, auf den Zyklus der Sonnenfleckenaktivität, auf Luftelektrizität und auf Veränderungen im Magnetfeld der Erde. Jede Veränderung, jedes Ereignis in der Natur spiegelt sich im Inneren der Bäume.

Bereits Mitte der 1970er Jahre untersuchten russische Botaniker die Jahresringe eines 807 Jahre alten Wacholders (Juniperus turkistanicus) im Gebirge von Serawaschan. Die Ringe zeigten exakt die in unserer Galaxis vorgekommenen Supernovae (seit diese beobachtet wurden: 1604, 1770 und 1952): Kein Stern der Milchstraße kann sterben, ohne dass die irdischen Bäume es wahrnehmen und aufzeichnen!

Während der Jugend eines Baumes nimmt die Stärke der elektrischen Ströme alljährlich zu. Erkrankungen andererseits zeigen sich zuerst in einer Schwächung der elektrischen Aktivität, lange bevor Symptome im biochemischen Stoffwechsel erscheinen.

Pflanzen sind aufgrund ihres Saftstromes elektrische Leiter. Besonders Bäume bauen beständig die luftelektrische Spannung zwischen Erde und Ionosphäre ab (wie man schon an ihrer Rolle als Blitzableiter deutlich sehen kann). Einem physikalischen Gesetz zufolge erzeugt jeder Leiter, wenn er von Strom durchflossen wird, um sich ein elektromagnetisches Feld. Und ein weiteres Gesetz der Physik besagt, dass sich solche elektromagnetischen Felder gegenseitig verstärken, wenn sie parallel verlaufen und in gleicher Richtung von Strom durchflossen werden. Genau dies trifft auf Bäume zu, und viele hundert Millionen Bäume sind daran beteiligt, das Magnetfeld der Erde aufzubauen und zu erhalten, jenen Schutzschild, der alles Leben auf der Erde vor schädlicher kosmischer Strahlung bewahrt.

 

Heilige Haine – Pforten zur geistigen Welt

Es liegt nahe, dass Menschen schon immer unter lebendigen Bäumen die Begegnung mit dem Übermenschlichen suchen, mit dem "größeren Selbst", mit dem Göttlichen. Heilige Haine sind der naheliegendste Ort, um der Natur Freude und Dankbarkeit entgegenzubringen, damit der Kreis von Geben und Empfangen sich schließen kann.

In Indien hatte jeder Stamm, bzw. jedes Dorf seinen heiligen Baum, eine uralte Sitte, an der auch Hinduismus und Buddhismus nichts änderten, im Gegenteil. Die drei hinduistischen Gottheiten des schöpferischen Prozesses (Brahma – Erschaffer, Vischnu – Erhalter, Shiva – Zerstörer) werden als die drei Hauptstämme des Weltenbaumes dargestellt. Die Rig-Veden bezeichnen Brahma als den unendlichen Weltenbaum und seine Essenz wird als sich im Baume manifestierend verstanden. So wählte Prinz Siddharta einen altehrwürdigen Pippala-Baum (Ficus religiosa), den Baum des Brahma, für seine letzten Schritte zur Erleuchtung. Der Ort war schon vor Siddharta ein Wallfahrtsort, ein Baumheiligtum. Nach Buddha wurde der Pippala zum Bodhi-Baum, dem "Baum der Erleuchtung". Der Baum wurde auch zum Symbol des Buddhismus überhaupt. In Indien gibt es auch heute noch heilige Bäume.

Auch in Japan sind die frühen Tempel der dortigen Urreligion (Shinto) Bäume. Im Laufe der Zeit wurden den Bäumen Altäre beigefügt, nicht umgekehrt.

Unter den Stämmen des vorchristlichen Europa war das nicht anders. Die Druiden sind berühmt für ihre heiligen Haine. Neben ihrer Rolle als Priester, Heiler und Schamanen (rechte Gehirnhälfte) waren die Druiden aber auch gebildete Gelehrte (linke Gehirnhälfte), die sogar von den zeitgenössischen griechischen Schreibern und Philosophen geachtet wurden. Die Essenz der druidischen Lehre kreist um die Macht des Wortes, gesprochen oder geschrieben, und diese Macht des Wortes kam aus dem Wald: das bardische Baumalphabet. Ähnlich wie die altjüdische Kabbala jeden Buchstaben des hebräischen Alphabets als Energielinien im Welten- oder Lebensbaum sieht und sie mit Zahlenwerten und geistigen Inhalten verbindet, so tragen im altirischen Alphabet die Buchstaben Baumnamen, und Baum wie Buchstabe verkörpern verschiedene Aspekte des Seins. In keltischen wie auch in den germanischen Sprachen sind die Begriffe für Lernen, Wissen, Weisheit eng verwandt mit denen für Wald und Baum (man denke nur an Buche, Buch und Buchstabe). Die Druiden waren schon dem Namen nach "Baumwissende, Waldwissende".

In den germanischen Sprachen waren die Worte für Tempel und Wald identisch. Die Hüter der germanischen Haine hießen Parawari (von ahd. para, "heiliger Hain, heiliger Baum") bzw. Harugari (von ahd. haruc, "Tempel, Wald, heiliger Hain"). Die alten Sprachen behandeln den heiligen Hain als ein höheres Wesen und einen Ort geistiger Wiedergeburt.

Historische Abbildungen von Bäumen als Seelentoren

Abb.: In vielen Kulturen taucht der Baum als Tor auf, das zu anderen Seinszuständen führt. Links: Der mesopotamische Weltenbaum, der in der altjüdischen Religion zum Baum des Lichtes, der Menorah wurde. Rechts: Der altägyptische Totengott Anubis führt die Seele des Verstorbenen ‚durch den Baum‘ zum Tor der Unterwelt.

 

Auch bei den alten baltischen und slawischen Völkern waren Haine die zentralen Orte für den Gottesdienst. Bis ins 19. Jahrhundert hinein bemühten sich christliche Pfarrer und Missionare, diese Festorte aufzustöbern und zu zerstören.

Das typische Heiligtum im alten Griechenland war ebenfalls der heilige Hain und nicht unser heutiges Klischee vom weißen Marmortempel. Selbst im Herzen der Akropolis standen die heiligen Olivenbäume Athens. Die heiligen Haine galten als dermaßen unberührbar, dass sie sogar die Macht hatten, politisch oder strafrechtlich Verfolgten Asyl zu bieten – ein Gedanke, der viel später von der christlichen Kirche aufgegriffen wurde. Da die griechischen Gottheiten sich aus gefeierten Naturgeistern, bes. Baumgeistern, entwickelt hatten, war es nur natürlich, dass sie alle ihre geweihten Haine hatten, die wiederum aus ihrer jeweiligen Baumart bestanden: Apollo wurde in Lorbeerhainen verehrt, Aphrodite unter der Myrte, Pan in der Pinie, usw. Zeus (in Rom Jupiter) wurde seit Beginn in der Eiche gesehen und seine Verehrung begann aller Wahrscheinlichkeit nach im Eichenhain von Dodona. Dies war ein Baumorakel im griechischen Epirus, von ortsansässigen Priesterinnen betreut und in seiner Berühmtheit so bedeutend wie das Orakel von Delphi (das wiederum ein Heiligtum Apollos und des Lorbeers war). Dodona war ein wichtiger Pilgerort für fast 2.000 (!) Jahre, der letzte Bericht stammt aus dem 4. Jahrhundert. Regierungen, Lebensstile, Kriege, ja ganze Zeitalter kamen und gingen, während im tiefen Frieden von Hainen wie Dodona der Mensch zum Baum sprach und der Baum zum Menschen.

Opferdarbringung am heiligen Baum, Cybele-Altar

Abb.: Opferdarbringung am heiligen Baum. Szene auf dem Altarstein eines altgriechischen Cybele-Tempels.

 

Die Zukunft von Baum und Mensch

Auf feinstofflicher Ebene resoniert jede Baumart mit unterschiedlichen Frequenzen aus der Umgebung. Im Winter wirken die Bäume als Antennen, die die Vielfalt kosmischer Bildekräfte empfangen.

Und jede Baumart hat dementsprechend völlig unterschiedliche Qualitäten, die sie in ihre Umgebung ausstrahlt. Menschen haben dies von Anbeginn gespürt, zu bestimmten Zeiten bestimmte Bäume aufgesucht und immer ganz bestimmte Baum-/Holzarten für bestimmte Zwecke verwendet. Bei den Kelten beispielsweise wurde aus den Zweigen der Birke, die auch in der Natur am Beginn des Lebenszyklus des Waldes steht, Kinderkrippen gefertigt, wie auch die Birkenreiserbesen, mit denen rituell zu Neujahr das alte Jahr "aus dem Haus gefegt" wurde. Die Germanen legten großen Wert darauf, nach ihrem Tode mit bestimmten Holzarten verbrannt zu werden, Prunk und Protz waren ihnen dabei gleichgültig. Eiche, Esche, Holunder, Hasel, Linde – sie alle haben ihre eigenen Bräuche und Legenden. So offenbart sich durch die Feinfühligkeit derer, die vor uns kamen, ein weiteres Gesicht der Bäume.

In der heutigen Zeit müssen wir tun, was wir können, damit noch etwas übrigbleibt für die, die nach uns kommen. Zu lange hat die rücksichtslose Plünderung alles Lebendigen angedauert.
Und was können wir tun? Wir, die Erben der Entfremdung?

Wir können Bäume pflanzen, viele Bäume, und uns in unserer Gemeinde für den Erhalt von bestehenden Baumbeständen und anderen Biotopen einsetzen. Wahrer Umweltschutz beginnt jedoch mit einem Umdenken: Wir Menschen sind nicht Zentrum des Universums, sondern "Mitgeschöpfe" in einem viel größeren, lebendigen System. Die Erde gehört nicht uns, sondern wir gehören zur Erde.

Und wie alle Wesen im großen Geflecht des Lebens hat auch der Mensch seine Aufgaben – die ihm niemand abnehmen kann. Unsere geistigen Fähigkeiten und technischen Möglichkeiten legen uns eine besondere Verantwortung auf. Menschsein heißt, der blinden Selbstzerstörung durch Gier zu widerstehen und wahre Würde dadurch zu gewinnen, dass unsere Taten von Fürsorge und Achtung vor allem Leben getragen sind. Dann kann auch die uralte Freundschaft von Mensch und Baum aufs Neue erblühen.

 

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