Bäume pflanzen zur Rettung des Klimas?

Toter Orang-Utan

Bäume pflanzen zur "Rettung" des Klimas?

Christian Wolf (Förster a.D.) & Fred Hageneder, April 2014

 

Derzeit liegt es in Ländern wie Deutschland im Trend, vor Ort Bäume "zur Rettung des Klimas" zu pflanzen. Es hat sich endlich herumgesprochen, dass die Wälder der Erde, insbesondere die Tropenwälder, planetarische Klimastabilisatoren sind.

Das Pflanzen eines Baumes ist zweifellos eine sehr positive menschliche Erfahrung, besonders wenn es mit Kindern geschieht. Es ist auch wünschenswert, dies zu fördern, denn es hat vielfältige soziale Komponenten und es erneuert das Band des (Stadt-)Menschen mit der Natur. Aber es wäre Augenwischerei, klimabesorgten Deutschen vorzugaukeln, sie könnten mit ein paar Hektarchen Baumpflanzung die Welt retten. Sind Spenden zum Schutz des Regenwaldes nicht vernünftiger und effektiver? Dazu ein paar Zahlen und Fakten.

In Deutschland gibt es genug Bewaldung. Durch Erstaufforstungen steigt jährlich die Waldfläche, trotz der Rodungen. So wurden 2011 in Bayern zwar 321 Hektar gerodet, aber 430 Hektar neu aufgeforstet. Insgesamt wuchs die Waldfläche in Bayern in den letzten drei Jahrzehnten um 16.000 ha. [1]
Auch in Europa lässt sich eine deutliche Waldzunahme beobachten: In den letzten 40 Jahren hat die Waldfläche um 1 Million ha (auf nunmehr insgesamt 11,1 Millionen ha) zugenommen. [2]
Die letzten Urwälder Europas werden aber derzeit in Rumänien zerstört, während niemand hinsieht. [3]

Für den Wald in Deutschland brauchen wir nur so viel zu tun (und das ist nicht einfach!), dass standortgerechte Wälder entstehen oder Forste in solche umgewandelt werden (weg von der Fichte und hin zu Laubmischwäldern). Auch der Einsatz schwerer Forstmaschinen sollte zunehmend vermieden werden, denn ihr Gewicht komprimiert den Boden, wodurch seine Vitalität und seine Wasserspeicherfähigkeit leidet. Der enorme Einsatz von Chemie in der Agrarindustrie schadet dem Bodenleben auch außerhalb der Anbauflächen (z.B. sind selbst in der Schweiz bis zu 1 kg Antibiotika pro Hektar Land nachweisbar) [4].

Wer jedoch global denken will, sollte sich erstmal mit den Größenverhältnissen vertraut machen! Man vergleiche die Größe Bayerns mit den Ausmaßen der Rodungsflächen in den Urwäldern weltweit. Diese Wälder fallen nicht nur, weil Länder wie Brasilien oder Indonesien (verständlicherweise) am Ausverkauf ihrer "Ressourcen" mitverdienen wollen, sondern weil der Energie- und (insbesondere Fleisch-)Hunger der Industrieländer gigantische Flächen für die Rinderzucht und den Anbau von Soya (Tierfutter), Mais (Biomasse), Ölpalmen (Biodiesel), Erdnüssen, Zitrusfrüchten (Limonaden) u.a. erfordert. Europa und die USA sind längst zu klein geworden, um ihre Bedürfnisse selbst zu stillen. Zudem sind nach Jahrzehnten intensiver Agrarwirtschaft inzwischen ein Drittel der Böden der Welt unfruchtbar geworden, Tendenz steigend [5]. Kein Wunder also, dass die EU seit langem ein so großes Interesse an den vergleichsweise jungfräulichen Böden Osteuropas hat und seit einigen Jahren hart um die "Kornkammer" Ukraine kämpft.

Toter Orang-Utan

Die "erste Welt" kannibalisiert immer noch die "zweite" und "dritte". Wir sind längst von den Lebensmittelgiganten, Chemie-, Agrar- und Saatgutkonzernen übertölpelt worden, die sich als die Ernährer der Menschheit aufspielen und dabei die Urwälder rigoros zerstören, wobei sie, ganz nebenbei, Milliardengeschäfte machen [6]. Die eigentlichen Gründe der weltweiten Waldzerstörung sind engstens mit diesem Neo-Kolonialismus verflochten.

Irgendwie ahnen wir alle, dass der Mensch langsam den Planeten auffrisst. Mit einem nagenden schlechten Gewissen zu leben ist nicht schön, aber zum Glück gibt es verschiedenste Organisationen, die uns dabei helfen, Bäume zu pflanzen und andere "nachhaltige" Dinge zu tun. Es wird viel Geld ausgegeben, um das Gewissen zu beruhigen. Und viele solcher Handlungen machen aus unserem Land ja auch ein besseres, schöneres, grüneres. Aber wir sollten nicht vergessen, dass wir das nur für uns tun.

Denn den tropischen Regenwald und das globale Klima "retten" wir so nicht. Dafür muss man schon den Regenwald selbst schützen, und zwar den bestehenden, alten [7]. Denn neu gepflanzter Regenwald braucht Jahrhunderte, bis er seine planetarischen Aufgaben erfüllen kann – diese Zeit haben wir nicht mehr (und wir hatten auch niemals das Recht, derart über die Natur zu bestimmen).

Und hierzulande muss Druck auf die Politik ausgeübt werden, Geld in die Öffentlichkeitsarbeit zu stecken, um eine Gesellschaft, die sich immer weiter von der Natur entfernt, schonungslos aufzuklären, was weltweit der Natur angetan wird, von der wir ja schließlich leben und noch lange leben wollen.

 

Quellen:
(1) Bayerische Staatsforsten: Unsere Waldfläche nimmt weiter zu
(2) Schutzgemeinschaft Deutscher Wald: Allgemeine Fragen zum Wald
(3) ‚Der letzte große Urwald Europas ist bedroht‘, Der Spiegel 17/2014, S. 104; Klawitter, Nils, 2015. ‚Kahlschlag im Urwald‘, Der Spiegel 19/2015. Siehe auch Welt-Baum-Nachrichten, Juli 2015. link folgt
(4) Pearce, Fred, 2002. ‘Dung to Death’, New Scientist, 20 April 2002, S.20, Stephan Mueller von der Eidgenöss. Anstalt für Wasserversorgung (EAWAG) zitierend. Siehe auch Die verborgenen Ursachen des Baumsterbens
(5) "Studie warnt: Zu viele Äcker werden unfruchtbar", Hamburger Abendblatt, 3. Dez. 2011
also: WWF Global, Farming: Soil Erosion and Degradation; "Unfruchtbare Böden bedrohen die Welternährung" (Die Welt, 1. Dez. 2013); FAO Water Unit: The State of Land and Water Resources;
vergl.: Soil report 2015
(6) siehe z.B. "Genmais 1507 – Die zweifelhaften Versprechen der Genlobby", ARD, BR/Report München, 18. Feb. 2014
siehe auch: "Der Gen-Mais von Monsanto kommt in die EU", ARD, BR/Report München, 30. Juli 2013
(7) "Die Vernichtung des Amazonas-Regenwaldes" (Die Welt, 12. Nov. 2013)

 

 

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